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Mit 88 macht man keine Pläne mehr

„Mit 88 macht man keine Pläne mehr.“ Sagt der siebenundachtzigjährige Helmut Schmidt, Bundeskanzler der Jahre 1974 bis 1982, in Beckmanns gleichnamiger Sendung, die am 25.09.2006 ausgestrahlt wurde.

Auffallend sind die korrekte und diplomatische Sprache sowie die mehrmaligen Verbesserungen Schmidts, wenn Beckmann ihn nicht richtig zitiert. Sein Plattdeutsch, will er aber nicht immer unterdrücken.

Ferner fällt bemerkenswert auf, dass Schmidt keine 30 Sekunden zwischen seinen Zigaretten vergehen lässt. Selbst Beckman sieht derweilen auf Schmidts Zigaretten. Am Ende der Sendung hat der ehemalige Regierungschef Deutschlands noch drei Zigaretten übrig. Körperhaltung und Gestik sind also vom Dauerrauchen geprägt. Während der Unterredung über Willy Brandt, Herbert Wehner, die Vertrauensfrage und die Amtsübernahme Schmidts werden zusätzlich die Arme verschränkt, sonst bleiben sie offen. Brandts Rücktritt sei mehr als überflüssig gewesen, weiß der 5. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, der selbst dreimal in das Amt gewählt wurde.

„Wenn man so alt ist wie ich“, resümiert der Bundeskanzler a. D. würdevoll, „sterben rechts und links neben einem die Freunde weg“. Eine Vorstellung von einer möglichen Option nach dem Ableben, etwa dem Leben nach dem Tod nach der christlichen Lehre, macht sich der evangelisch-luthersiche Schmidt nicht, wie er wiederholt auf Beckmanns, im Laufe des Interviews zweimal gestellte, Frage mit nahezu identischem Wortlaut antwortet.

Mir selbst, dem erfasstem und schwelgendem Zuschauer, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie präsent und ausschlaggebend die Angst ist, den Menschen in seinem Leben zu verlieren, den man nahezu sein Leben lang kennt und mit dem man seit 64 Jahren verheiratet ist. Die Rede ist von Herrn und Frau Schmidt.

Schmidt stellt kurz Auszüge seines Wissens und seiner Umsicht, die Weltpolitik, die Beziehungen und Rollen der großen Staaten betreffend sowie in Hinsicht auf sein gerade erschienenes Buch (Nachbar China. Helmut Schmidt im Gespräch mit Frank Sieren), die Stellung Chinas in der Welt und darüber, dass man China nicht unüberlegt maßregeln sollte, dar. Ob er sein nächstes Buch, an welchen er gerade arbeitet, fertig stellen kann versichert er nicht. Schmidt lehrt die Geschichte des 1. Deutschen Reiches und hält sich mit seiner Meinung, die aktuelle Tagespolitik betreffend bedeckt. Beklagt aber den mangelnden Mut der großen Koalition. Er zieht Parallelen der ersten großen Koalition von 1928, die das Hauptproblem, die Arbeitslosigkeit, außer Acht ließ und an der Arbeitslosenversicherung zerschlug und der großen Koalition von heute, die vor der Arbeitslosigkeit die Gesundheitsreform als Streitpunkt nimmt. „Brüning, von Papen, Schleicher, Hitler“. Wie ein Obenstufenschüler, der das Wissen für eine Leistungsüberprüfung parat hält, gibt Schmidt weitere Einblicke in die deutsche Geschichte. Der Unterschied besteht darin, dass der Oberstufenschüler dieses Wissen bald wieder ablegen wird.

Insgesamt ein beeindruckendes und sehr interessantes Interview mit Helmut Schmidt, das von Reinhold Beckmann souverän geführt wurde, einen runden Abschluss allerdings vermissen lässt.

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