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Das brandneue Testament

Vorweg im weiteren Text werden inhaltliche Ausschnitte des Films wiedergegeben.

Bibel
Über Gott, uns, die Weiblichkeit des Göttlichen und warum der Film in Mannheim am besten wirkt.

Er ist schlampig gekleidet, übellaunig, sadistisch, gewalttätig und lebt in Brüssel mit seiner Frau und seiner Tochter Éa, die er beide tyrannisiert. Sein Sohn, Jesus, ist schon lange abgehauen. Die Rede ist von Gott. Gott, wie ihn der Film „Das brandneue Testament“, geschrieben von Jaco Van Dormael und Thomas Gunzig, zeigt.

Gott sitzt vor seinem Computer und tüftelt mit diebischer Freude jene dummen, sadistischen Gebote aus, die zu den Fragen führen, die die Menschheit bewegen: Warum fällt der Toast immer auf die Marmeladenseite, und weshalb erwischt man im Supermarkt grundsätzlich die langsamste Schlange an der Kasse? Als wäre das nicht schon schlimm genug, lässt er immer wieder Dampf ab, indem er Naturkatastrophen oder Kriege arrangiert.

Éa hat genug davon, will sich zu den Menschen begeben und ihrem Vater eins auswischen. Sie hackt sich in Gottes Computer ein. Die geheimste seiner geheimen Dateien, die Todesdaten aller Menschen, ist schnell geöffnet. Und dann dauert es nur noch ein paar Klicks, bis jeder Mensch auf Erden per SMS erfährt, wie lange er noch zu leben hat. Éa bricht fluchtartig auf, um auf der Erde sechs neue Apostel zu suchen und ein brandneues Testament zu schreiben. Doch Gott ist der Meinung, dass er inmitten des ganzen Chaos auch noch ein gewaltiges Wort mitzureden hat.

Fazit vorweg

Der Film ist inhalts-, musik- und bildgewaltig, poetisch und äußerst skurril, ergreifend, erleuchtend und hoffnunggebend. Anders.

Das brandneue Testament schafft mit seinen Bilder, Farben und Figuren, mit der Musik, die teilweise nicht nur untermalt, sondern selbst gestaltet ein poetisches Märchen, eine eigene Ethik. Geschichte und Bilder sind obskur, sich auf diese einzulassen lohnt sich. Als Christ kann die Geschichte stören; es ist aber ein Filmmärchen.

Gottesbild

Übellaunig, sadistisch, gewalttätig und schadenfroh. Wenn wir Menschen so sind und wenn Menschen Gottes Ebenbild sind, scheint das auf den ersten Blick zu passen. Kein Streben nach einem höheren Ideal und einem höheren Menschsein. Wir sind Arschlöcher. Passt. Ganz Einfach. Die Theodizee Frage wird gleich zu Beginn des Filmes beantwortet. Die Antwort ist weil er, Gott, es so will.

Das brandneue Testament

Im Alten Testament schließt Gott mit den Menschen einen Bund. Zur Erklärung: Testament kommt vom lateinischen testamentum, zu deutsch „Bund“. Mit Jesus, schließt Gott mit den Menschen einen neuen Bund, das Neue Testament. Soweit war es bisher klar. Das brandneue Testament schließt nun Gottes Tochter Éa.

Wenn man als Kind Gottes zu den Menschen will, braucht man Unterstützung, erklärt Jesus, der Helfer aller, seiner Schwester. Er selbst hatte 12 Jünger. 12 nicht, weil es eine mystische oder sonstwie bedeutende Zahl ist. Bibelserver.de gibt für die Suche nach „Zwölf“ immerhin 172 Treffer (in der Übersetzung nach Luther) aus. Nein, Jesus suchte sich zwölf Jünger, weil sein Vater Eishockey mag. Éa sucht sich sechs weitere Jünger; also 18 insgesamt. Denn ihre Mutter mag Baseball und während eines Spieles stehen 18 Spieler auf dem Platz.

Gott, IT gestütztes Weltmanagement und die Generation Y

Gott hat keinen modernen PC. Tastatur und Röhrenmonitor lassen auf alte Hardware schließen, die aber äußerst leistungsfähig ist; er verwaltet die gesamte Welt mit allen Lebewesen und Gegebenheiten. Auch das GUI seiner Software bedürfte eines Relaunches.

Bevor die rebellische Gotttochter zu den Menschen geht, manipuliert sie Gottes PC, sodass er ihn nicht mehr bedienen kann. Er bittet sie später den PC neu zu starten; was er selbst nicht schafft. „Have You Tried Turning It Off And On Again?“ Wer kennt dieses Zitat aus der Serie IT Crowd nicht?

Begegnung mit dem Pfarrer

In einer Kirche widerfährt Gott genau die Barmherzigkeit, für die er so berühmt ist; vor allem dank seines Sohnes. Er bekommt Essen, Obdach und Mitgefühl. Doch das hält er nicht aus und zählt dem Pfarrer alle Tragödien auf, die ihm in seinem Leben widerfuhren und macht unmissverständlich klar, warum dies geschah, weil er, Gott, es so wollte.

Die Weiblichkeit

Éa lehnt sich gegen Ihren Vater, die Vaterfigur überhaupt (sic!), auf. Wenn Jaco Van Dormaels und Thomas Gunzigs Gott im Bademantel mit Zigarette und Bier Eishockey schaut und den Fernseher anschreit, widmet er sich nur deshalb seiner Frau und seiner Tochter, damit er stattdessen sie anschreien kann. Kümmert er sich um seine Menschen, dann nur um diese zu drangsalieren. Dieser Gott symbolisiert das klischeehaft schlechte Männliche. Dagegen lehnt sich Éa auf. Sie und ihre Mutter stellen das weibliche Regulativ dar und das Gleichgewicht her. Als Gotttochter hat Éa Superkräfte. Sie kann zum Beispiel übers Wasser gehen und die Musik, die in jedem Menschen innewohnt, hören. Sie kann auch die Zeit kontrollieren und macht aus Tagen Monate, um mehr Zeit mit ihrem Menschenfreund, der gerne ein Mädchen wäre, verbringen zu können.

Éa ist es, die sich gut genug am PC auskennt, um diesen und das Weltverwaltungsprogramm zu bedienen und zu manipulieren. Sie orientiert sich an der Lieblingszahl 18 ihrer Mutter. Gottmutter ist es, die es im Gegensatz zu ihrem Ehemann schafft den PC wieder in Gang zu setzen und die Welt zu verändern. Nach ihren Vorlieben, klischeehaft hausfrauen-weiblich. Den PC setzte sie zufällig wieder in Gang, während der Hausarbeit. Von der unterdrückten und stummen Hausfrau zur aktiven berufstätigen Göttin. Was für eine Wandlung.

Das brandneue Testament wirkt in Mannheim am besten

Wer dieses skurrile bildgewaltige Märchen sieht und sich nicht mehr wundert, warum sechs Jüngerinnen und Jünger, darunter Mörder, sexuell gestörte und gescheiterte Menschen zusammen mit einem Gorilla und einem singenden Geisterfisch am Strand auf deren Ende warten, wird erkennen, dass der Film in Mannheim am besten wirkt. In Mannheim in einem Kino direkt neben einer Table Dance Bar, in unmittelbarer Nähe einer Grundschule und einer der größten psychiatrische Einrichtungen der Region. Passt.

Viel Spaß mit dem Film und

stay blogged. 😎

Euer Matthias Düsi